Der Mann mit dem Hund: Die andere Seite des Spiegels – Kapitel 5 – Ein Weihnachtsbaum

  

   Bislang typisch für diesen Winter, begann auch dieser Montag mit Regen bei 7 Grad plus. Schenkte man den Meteorologen Glauben, blieb uns dieses Wetter bis mindestens Weihnachten erhalten. Ein Winter mit Schnee und Kälte war nicht in Sicht. Es waren noch etwas über 2 Wochen bis Weihnachten und ich sollte dringend die Einladungen für meine alljährliche Weihnachtsparty verschicken, die ich noch nicht einmal geschrieben hatte. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, nahm Papier und Stift zur Hand und begann die Gästeliste zu machen. Wie schon an meinem Geburtstag, beschäftigte mich erneut die Frage, wie ich mit Geraldine verfahren sollte. Nach wie vor gab es dieselben Argumente dafür, wie dagegen. Einer endlosen Schleife gleich, spielte mein Gedächtnis immer Chris Warnung ab, als er bei seinem ersten Besuch vor einigen Wochen sehr treffend die Gefahren eines Gespräches skizziert hatte. Bei Geraldine, deren unerwartete Ausbrüche mir bestens vertraut waren, war dieses Risiko noch etwas größer, als bei weniger impulsiven Menschen. Auch waren mir unsere diversen, meist unstrukturierten Streitgespräche während, vor allem aber direkt im Anschluss nach unseren Beziehungen, noch bestens im Gedächtnis. Ich hatte in den letzten Jahren zwar versucht, wenn es zu solchen Gesprächen gekommen war, ruhig und sachlich zu bleiben, aber gelungen war mir das leiser meist nie. Oft genug war das Ergebnis dann ein handfester Krach und tagelange Funkstille. Doch diese Situationen ließen sich kaum mit der heutigen vergleichen. Sie war wesentlich schwieriger und es ging um deutlich mehr, als je zuvor. Dennoch hatte ich kein gutes Gefühl dabei Geraldine nicht einzuladen. Möglicherweise lag es daran, dass im Gegensatz zu meinem Geburtstag, an dem nur meine engsten Freunde zu Gast gewesen waren, ich zu meiner Weihnachtsparty auch Gäste einladen wollte, zu denen Geraldine guten Kontakt pflegte. Anders als an meinem Geburtstag war es also unmöglich Geraldine Glauben zu machen, dass ich in diesem Jahr meine traditionelle Weihnachtsparty ebenfalls ausfallen ließ. Ich ging in meinem Arbeitszimmer auf und ab, wiederholt die Gründe gegeneinander abwägend. Am Ende, nach einer gefühlten Ewigkeit, entschied ich mich, dass bevor das Buch nicht fertiggestellt war und Geraldine nicht alles wusste, was mich beschäftigte, was ich ihr unbedingt sagen wollte, es klüger sei Geraldine nicht einzuladen. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass, abseits unserer aktuellen Probleme, es ohnehin fraglich gewesen wäre, ob Geraldine überhaupt käme. Außer im letzten Jahr war sie nie zu meiner Weihnachtsfeier gekommen und hatte Heiligabend stets bei ihrer Mutter verbracht. Ein Umstand der sich wahrscheinlich sowieso nie ändern würde. Anders als an meinen Geburtstag musste ich an Weihnachten auch nicht mit irgendwelchen SMS von Geraldine rechnen, dich ich weder beantworten wollte oder noch konnte. Sie hatte mir nie Weihnachtswünsche geschickt. Ich setzte mich wieder an meinen Schreibtisch und vervollständigte die Liste, als mir auffiel, dass ich weder Sandras Nachname, noch ihre Adresse kannte. Obwohl ich in den Wochen seit meinem Geburtstag viel Zeit mit ihr verbracht hatte, wusste ich außer ihrer Mobilfunknummer, wie alt sie war und welches Auto sie fuhr, vieles immer noch nicht über sie. Die Idee, die diversen Suchmaschinen im Internet nach der Verbindung von Vornamen und ihrem Wohnort suchen zu lassen, verwarf ich so schnell wieder, wie sie mir gekommen war. Die zu erwartende Flut von Treffern zu überprüfen hätte mich Stunden gekostet, ohne mir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterzuhelfen. Zudem war mir unwohl bei dem Gedanken hinter Chris Rücken nach Information über Sandra zu suchen. Immerhin war ich nach seinen Angaben der Einzige aus seinem Umfeld, der Sandra kannte. Wenn Chris gewollt hätte, dass ich ihren Nachnamen oder ihre Adresse erfahre, hätte er mir diese verraten. Vor dem Hintergrund dieses Versprechens, von dem er mir im Zusammenhang mit seiner Freundschaft zu Sandra und deren Identität berichtet hatte, war es ungewöhnlich genug, dass er mir Sandra überhaupt vorgestellt hatte. Das stellte einen enormen Vertrauensbeweis mir gegenüber dar. Dieses Vertrauen wollte ich auf keinen Fall wegen einer Nichtigkeit wie einer Einladung zu einer Weihnachtsfeier erschüttern. Der Einfachheit halber beschloss ich daher die Einladung für Sandra der von Chris beizulegen. Zwei Stunden saß ich an meinem Schreibtisch und schrieb Einladung um Einladung, untermalt vom unablässig an die Fenster des Arbeitszimmers prasselnden Regen. Ob das heute überhaupt noch aufhören würde zu regnen fragte ich mich, als ich mit den Kuverts in der Hand mein Arbeitszimmer verließ und die Einladungen lieber mit dem Auto zur nahegelegenen Post brachte.

   Es wurde Mittwochabend, bis ich wieder etwas von Chris hörte. Mitten in den 20 Uhr Nachrichten piepte mein Handy. Eine SMS von Chris. In einer kurzen Nachricht schrieb er, dass er gut mit dem Buch vorankommen würde und sich deshalb nicht gemeldet hatte. Erfreut über diese gute Nachricht, schrieb ich ihm umgehend zurück und bedankte mich für diese erfreuliche Neuigkeit. Bei der Gelegenheit lud ich ihn und Sandra zum Brunch am Morgen des 3. Advents ein. Ein bisschen in der Hoffnung, Sandra würde mir beim Backen der letzten noch ausstehenden Plätzchen helfen. Chris Antwort auf meine Einladung ließ bis Freitagvormittag auf sich warten. „Danke, kommen gern.“, war die überaus kurze Nachricht. In gewisser Weise erinnerte mich sein Verhalten an die Zeit, in der ich mein erstes Buch geschrieben hatte. Leicht nostalgisch dachte ich an jenen verregneten Sommer zurück. Die meiste Zeit saß ich vor meinem Laptop am Esstisch meiner kleinen Wohnung und tippte unbeholfen mit 2 Fingern. Jede Unterbrechung führte dazu, dass ich den Faden verlor, bis ich eines Tages mein Telefon ausschaltete. Mein Kontakt zur Außenwelt beschränkte sich während dieser Zeit auf das gerade Notwendigste, wie den Pizza Lieferdienst und den unregelmäßigen Gang zum Supermarkt. Bestimmt ging es Chris, der seine Arbeit bedingt durch die Spaziergänge mit Mable, ohnehin öfter unterbrechen musste genauso. Darüber hinaus konnte ich mir gut vorstellen, dass ihm die Arbeit vor dem Monitor mit seinen dauernden Kopfschmerzen sicher nicht leichtfiel. Ich fühlte ein wenig schäbig dabei, dass ich es zulassen musste, dass Chris in seinem Zustand dieses Buch schrieb für mich, weil ich unfähig dazu war. Ein Gedanke, der mir überhaupt nicht gefiel.

   In Begleitung von Sandra standen Chris, der auffällig schlecht aussah, und Mable wie verabredet am Sonntagmorgen vor meiner Türe. Sandra hatte an diesem Tag als kleine Aufmerksamkeit eine Flasche Crémant mitgebracht. Obwohl Sandra und Geraldine sehr unterschiedliche Frauentypen sind, erinnerte mich dieses Bild an Geraldine, die fast immer ihren Lieblingswein mitgebracht hatte. Während wir im Esszimmer an dem vom mir bereits fertig gedeckten Tisch Platz nahmen, schlich Mable ins Wohnzimmer und legte sich auf den Teppich schlafen. Nach ihrer Ansicht musste der Teppich dort extra für sie ausgelegt worden sein und mittlerweile hatte sie ihn gerne als den ihren angenommen. Mir fiel schnell auf, dass zwischen Sandra und Chris eine noch merkwürdigere Stimmung herrschte, als am Sonntag zuvor. Vielleicht waren die beiden im Lauf der Woche darüber in Streit geraten, wie Chris in letzter Zeit sein Leben gestaltete? Mir erschien das, nachdem was mir Sandra letzten Sonntag voller Besorgnis erzählt hatte, durchaus als möglich. Eine Zeit beobachtete ich die zwei, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Chris monatlicher Untersuchungstermin war letzten Dienstag gewesen. Vielleicht waren die Befunde schlechter als erwartet. Ich war so mit den Einladungen zu meiner Weihnachtsfeier und mehr noch mit meinen Gedanken an Geraldine und das Buch beschäftigt gewesen, dass ich vollständig vergessen hatte ihn danach zu fragen. Auch auf die Gefahr hin, dass meine Frage mich jetzt in Schwierigkeiten bringen konnte, erkundigte ich mich bei Chris nach den Ergebnissen.
„Sie waren wie erwartet. Nichts Erwähnenswertes“, sagte Chris mit eintöniger Stimme, während er nebenher sein Frühstücksei öffnete.
Gespannt auf Sandras Reaktion auf seine Antwort, warf ich ihr einen kurzen Blick zu. Unerwartet zeigte sie überhaupt keine Reaktion, sondern bestrich ungerührt weiter ihren Toast mit Marmelade. Ein paar Minuten war es ungewöhnlich still am Tisch. Jeder aß oder trank, bis Sandra dieses eigentümliche Schweigen unterbrach.
„Vielen Dank für die Einladung zu deiner Weihnachtsparty. Zu meinem großen Bedauern kann ich leider nicht kommen. Ich verbringe Weihnachten, wie jedes Jahr, im Kreis meiner Familie. Sie wären sehr enttäuscht, wenn ich dieses Jahr fernbleiben würde. Ich hoffe, du verstehst das?“
„Natürlich verstehe ich das.“, erwiderte ich höflich. „Weihnachten ist das Fest der Familie und der Lieben. Meine Party ist mehr für die gedacht, die beides nicht haben oder aus einem bestimmten Grund beidem aus dem Weg gehen wollen. Eine Art Auffangbecken, wenn man so will.“
Sandra lächelte mich freundlich an.
„Eine schöne Geste von dir. Dann müssen diese Menschen Heiligabend nicht alleine verbringen.“
So hatte ich das noch nie betrachtet. Meine Weihnachtsparty ist eine soziale Geste. Mit mir selbst zufrieden trank ich einen Schluck Orangensaft, als ich bemerkte, dass Sandras Absage sehr allgemein gehalten war. Hätte die Antwort nicht viel eher lauten müssen: Ich verbringe Weihnachten mit meinem Sohn? Offensichtlich wollte Sandra nicht, dass ich erfahre, dass sie ein Kind hatte. Kurz überlegte ich, welchen Grund sie dafür haben könnte, ließ es aber nach ein paar Sekunden ergebnislos dabei bewenden. Ich sah zu Chris hinüber. Zwischen zwei Bissen von seinem Lachsbrötchen murmelte er:
„Ich komme natürlich gerne. Vielen Dank für die Einladung.“
Es dauerte etwa weitere 10 Minuten, bis ein angeregtes Gespräch über die verschiedenen Ereignisse der Woche in Gang kam. Wobei hauptsächlich Sandra von ihrer Geschäftsreise berichtete und Chris nur hin und wieder eine flapsige Bemerkung machte. Wir hatten uns circa 1 Stunde unterhalten, als Sandra sich erkundigte, ob ich alle Sorten Plätzchen, die ich backen wollte, bereits fertig hatte. Das war die Gelegenheit, auf die ich insgeheim gehofft hatte.
„Nein, habe ich nicht. Ich bin nicht dazu gekommen und es fehlen leider noch 4 Sorten. Würdest du mir nachher dabei helfen? Natürlich nur, wenn du Zeit hast.“
„Natürlich, ich helfe dir gerne“, antwortete Sandra und sah dabei kurz zu Chris hinüber.
„Macht ruhig. Ich lege mich solange auf das Sofa und lese.“, brummte er. „Falls das für dich in Ordnung sein sollte?“
Er warf Sandra dabei einen eigentümlichen Blick zu. Jetzt war es deutlich zu spüren. Irgendetwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein. Ich hoffte, dass Sandra mir später in der Küche erzählen würde, was der Anlass für diese Verstimmung war.

 Es war etwa Viertel nach vier, Sandra und ich hatten gerade mit Spritzgebäck, der vorletzten Sorte angefangen und uns bislang ausschließlich über Kochen und Backen unterhalten, als Chris mit Mable zu uns in die Küche kam.
„Ich würde jetzt mit Mable spazieren gehen“, wandte er sich in ausgesprochen freundlichem Tonfall an Sandra.
„In Ordnung“, erwiderte Sandra ebenso freundlich. „Passt auf euch auf und kommt bald wieder.“
Chris zwinkerte Sandra zu und verließ mit Mable die Küche. Ich wartete bis ich die Haustüre in Schloss fallen hörte.
„Was ist eigentlich mit euch los? Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar und das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ihr gar kein Paar seid.“
Sandra machte, meine Anspielung ignorierend, eine halbe Drehung in meine Richtung.
„Chris ist so ein…“, sie sprach nicht weiter.
„Ein was?“, bohrte ich.
„Dickkopf. Ein riesengroßer egoistischer Dickkopf! Und er ignoriert alles, was man ihm sagt!“
Sandra war hörbar erbost.
„Was hat er denn angestellt?“, fragte ich mit gedämpfter Stimme im Versuch die Situation wieder zu beruhigen.
„Er hat vergangene Woche sein Arbeitszimmer renoviert! Kaum bin ich eine Woche weg, macht er so einen Unsinn!“
Sandra wirkte äußerlich ruhig und gefasst, schien aber innerlich zu toben. Jetzt wurde mir klar, warum Chris meine SMS solange nicht beantwortet hatte. Er hatte nicht, wie ich es vermutet hatte, an dem Buch für Geraldine geschrieben, sondern die Renovierung seiner Wohnung nach über anderthalb Jahren endlich fertiggestellt. Scheinheilig, als wüsste ich nichts von der Teppichrolle in seinem Esszimmer, fragte ich Sandra, was Chris genau gemacht hatte.
„Er hat den Teppich herausgerissen und einen neuen verlegt. Schränke in den Keller geräumt und frisch gestrichen.“, zählte Sandra in ärgerlichem Tonfall Chris Arbeiten auf.
Alleine die Teppichrolle aus dem Esszimmer in sein Arbeitszimmer zu bekommen, stellte ich mir schon schwer genug vor. Davor musste Chris alle Computer abgebaut und die schweren Schreibtische aus dem Zimmer gebracht haben. Ich konnte mir nicht erklären, wie er das in seinem Zustand alleine geschafft haben konnte. Er musste Hilfe gehabt haben.
„Ich hatte dich doch gebeten auf ihn aufzupassen. Du hast davon ehrlich nichts mitbekommen?“, hakte Sandra nach und schaute mich mit durchdringenden Blicken an.
„Nein, habe ich nicht. Ehrlich. Ich habe ihn die ganze Woche nicht gesehen und nur zweimal per SMS Kontakt mit ihm gehabt. Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei. Wie sollte ich ahnen, dass Chris auf eine derart blöde Idee kommt?“
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen glaubte mir Sandra und sagte mit leichtem Kopfschütteln:
„Man darf ihn einfach nicht mehr alleine lassen. Ich sollte ihn rund um die Uhr beaufsichtigen, dass er keinen Unsinn mehr machen kann. Am besten er zieht bei mir ein, dann habe ich ihn unter Kontrolle. Er könnte keine Dummheiten mehr machen und dieses überflüssige Schauspiel hätte auch ein Ende. Es wäre allen geholfen. Wenn er aber so weitermacht, wird alles viel schneller gehen. Ich weiß nur nicht, wie ich ihm das beibringen soll?“
Sandras Gesichtsausdruck war bei ihren letzten Worten traurig und gedankenvoll geworden. „Aber wenigstens ist das Zimmer schön geworden“, fügte sie leise hinzu.
Sandra wandte sich wieder ihrem Teig zu. Aus heiterem Himmel fragte sie mich ein paar Sekunden später:
„Wie gut kennst du Chris eigentlich?“
„Warum?“
Ich war leicht verunsichert über den möglichen Hintergrund dieser Frage.
„Chris hat mir erzählt, dass ihr euch vor etwas über einem Jahr im Park kennengelernt habt.“ „Ja, das stimmt.“
„Und dann seid ihr Freunde geworden, oder?“
Ich kam etwas ins Schlingern, weil ich Sandra weder belügen wollte, noch die Wahrheit sagen konnte.
„Es hat ein bisschen gedauert“, sagte ich ausweichend. „Aber heute würde ich uns durchaus als Freunde bezeichnen.“
„Und wie gut kennst du ihn?“, wiederholte Sandra ihre Frage.
„Scheinbar nicht gut genug. Sonst hätte ich mir denken können, dass er auf eine solch blödsinnige Idee kommt, wie sein Arbeitszimmer zu renovieren, sobald du fort bist.“
Diese Antwort schien Sandra zu genügen. Ohne weitere Fragen nach unserer Freundschaft und deren Entstehung zu stellen, konzentrierte sie sich zu meiner Beruhigung wieder auf die Plätzchen. Als Chris nach 40 Minuten mit Mable wieder zurückkehrte, hatte ich gerade das letzte Blech aus dem Ofen geholt. Alle Weihnachtsplätzchen waren, vor allem dank Sandras Hilfe, fertig geworden. Wir tranken noch gemeinsam Kaffee und probierten dazu verschiedene Weihnachtsplätzchen, bevor Chris und Sandra, die an diesem Abend gemeinsam Essen gingen, mich verließen.

  Den verbrachte ich mit Musik hören und dem Versuch dabei zu entspannen. Mit einer Flasche Cabernet Sauvignon und einer Zigarre bestens versorgt, ließ ich mich auf meinem Sofa nieder. Zuvor hatte ich eine meiner Lieblings-CDs gelegt. „Ol blue eyes is back“ gehört nach meiner Ansicht zu den besten Platten, die Frank Sinatra je gemacht hat. Eine wunderbar gefühlvolle, leicht melancholische Platte, deren absolutes Highlight die Version von „Sending the clowns“ ist. Aber genau diese Melancholie war mir heute Abend eine Spur zu viel und ich wechselte die Musikrichtung. Meine Wahl fiel auf „Tunnel of Love“ von Bruce Springsteen. Eine CD über welche die Meinungen sehr geteilt waren. In meinen Augen gehörte sie mit ihren sehr persönlichen Aussagen zu den Besten, die der Boss gemacht hatte. Besonders „Brillant Disguise“ und „Valentine’s Day“, die ich mir gerne ein paar Mal hintereinander anhören konnte, schätze ich sehr. Nebenbei begann ich mir Gedanken über Chris und Sandra und das, was ich in den letzten beiden Wochen gesehen hatte, zu machen. Waren die beiden wirklich nur Freunde? Bei Chris war ich mir absolut sicher, dass Sandra für ihn nicht mehr als ein sehr guter Freund war. Obwohl er kaum noch über Irina gesprochen hatte, gab es genug Anhaltspunkte, die mich überzeugt hatten, dass seine Gefühle für sie nach wie vor vorhanden waren. Unter Kontrolle seiner Vernunft, aber vorhanden. Wenn man so will eine Verschlusssache für alle Ewigkeit. Wie Geraldine im Sommer schon richtig bemerkt hatte, 27 Jahre wischt man nicht mit einer Handbewegung vom Tisch. Hingegen was Sandra betraf, war ich mir nicht so sicher. Ohne Frage ist sie ein warmherziger und fürsorglicher Mensch. Einer dieser selten gewordenen Menschen, der für seine Freunde jederzeit da ist und bereit ist, alles für sie tun. Dessen Fürsorge echt und aufrichtig ist. Trotzdem, irgendetwas stimmte nicht. Ihre Blicke, ihre fortwährenden ernsthaften Sorgen um Chris und nicht zu Letzt die durchaus ernstgemeinte Äußerung heute, Chris solle bei ihr einziehen. Es war nicht, dass es übertrieben wirkte. Nicht so wie bei jenen Menschen, die zwar eine große Show um ihre Fürsorge machten, sich jedoch dabei im Grunde um nichts Anderes kümmerten, als um ihre eigene Wirkung nach außen. Nein, es war einfach nur ein kleines bisschen zu viel. Dazu kam noch ihr auffälliges Bemühen Chris so nahe wie möglich zu sein. Mehr als einmal hatte ich den vergangenen Tagen beobachtet, wie sie mehr oder minder zufällig Chris berührte oder bei Tisch gerne ihre Hand auf seine legte, wenn sie mit ihm sprach. All das waren für mich eindeutige Hinweise, dass Sandra für Chris mehr empfinden musste, als reine Freundschaft. Was mich zu der nächsten Frage führte. Sah Chris das nicht oder wollte er es nicht sehen? Ich legte Bob Segers „Greatest Hits“ in den CD-Player und schenkte mir noch ein Glas Wein ein. Grundsätzlich bin ich kein großer Freund von Greatest Hits Alben, aber hier lag der Fall anders. Mit „Roll me away“, „Still the same“ und dem überragendem „The fire inside“ sind meine absoluten Lieblingsstücke Bob Segers auf dieser CD. Höchstwahrscheinlich ging Chris, nach dem die beiden seiner Angabe zu Folge vor fünf Jahren diese Frage in seinen Augen abschließend geklärt hatten, gar nicht davon aus, dass es sich dabei möglicherweise um eine einseitige Klärung gehandelt hatte. Sollte ich mit meiner Vermutung, was Sandras Gefühle für Chris anbelangte richtigliegen, blieb die Frage offen, warum sie bis jetzt so zurückhaltend war? Irina war immerhin seit über 7 Monaten Geschichte und wird es bleiben. Ferner hätte sie früher schon Gelegenheit gehabt, Chris für sich zu gewinnen. Nach dem Ende seiner vorangegangenen Beziehung, bevor Irina wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Oder in dieser mehrmonatigen Pause zwischen den beiden. Für eine Frau wie Sandra, mit all ihren Vorzügen, sollte es ein leichtes sein Chris für sich zu gewinnen. In so eine Frau, die in jeder Hinsicht einfach nur perfekt ist, musste sich jeder Mann irgendwann einfach verlieben. Ich erinnerte mich zwar sehr genau daran, was Chris über Mrs. Perfect und Mrs Right gesagt hatte, mir wollte aber nicht in den Kopf, warum Chris einer Mrs. Perfekt wie Sandra, mittlerweile nicht den Vorzug gegeben hatte. Während „Like a Rock“ lief, fragte ich mich erneut, worauf Sandra wartete. Womöglich darauf, dass Chris die Initiative ergriff? Davon konnte sie nach dem klärenden Gespräch zwischen den beiden vernünftigerweise nicht mehr ausgehen. So wie ich Sandra kennengelernt hatte war sie ein sehr konservativer Mensch, mit festen Vorstellungen und Ansichten. Vielleicht träumte sie insgeheim davon, dass Chris eines Tages auf sie zukommen würde, blieb solange in seiner Nähe und wartete ab, in der Hoffnung er würde Irina eines Tages vergessen. Nicht unwahrscheinlich. Nur rannte ihr langsam die Zeit davon. Zeit! Das könnte der Grund sein. Eventuell hielt sie die Tatsache, dass Chris Zeit begrenzt war davon ab, den letzten entscheidenden Schritt zu wagen? Das wäre durchaus vorstellbar, aber nicht logisch. Sie hatte ihn all die Monate begleitet, war immer in seiner Nähe und kannte alle Details über seine Krankheit besser, als jeder andere. Selbst im Krankenhaus waren sie der Ansicht Sandra sei Chris Freundin. Emotional sollte es keinen Unterschied machen, ob sie nur seine beste Freundin, die ihn heimlich liebte, war oder seine Partnerin. Nach meiner Überzeugung wird sie das Ende immer gleich hart treffen. Demnach wäre es aus ihrer Perspektive zwingend, die verbleibende Zeit sinnvoll zu nutzen. Was aber, wenn es doch einen Unterschied gab? Wäre es denkbar, dass der Verlust des wahrgewordenen Traums am Ende härter treffen würde und sie sich, möglicherweise unterbewusst, davor schützen wollte? Undenkbar war das nicht. Zog ich in Betracht, wie sehr mich der Tod des Mädchens mitgenommen hatte, war es sogar wahrscheinlich. Unabhängig von diesen Überlegungen konnte ich mir eines nur schwer vorstellen. Dass es für Sandra einfach gewesen war, jahrelang lediglich die Nummer 2 in Chris Leben zu sein. Noch weniger konnte ich mir indes vorstellen, wie die Situation seit Mai für sie sein musste. Wie es wirklich in ihr aussah. Ein Leben gegen die Uhr des geliebten Menschen führen zu müssen. Fast immer gut gelaunt und fröhlich in seiner Nähe, aber nie die Sorgen aus dem Blick verlierend. Dazu gehörte eine enorme menschliche Größe. Eine Größe, die ich dieser Form bislang bei niemandem erlebt hatte. Egal, ob Sandra Chris insgeheim liebte, oder sie einfach nur seine allerbeste Freundin war, sie verdient den höchsten Respekt.

   Die Tage bis Heiligabend verliefen weitgehend gleichförmig ruhig. Ein paar Mal waren Sandra und Chris, wie in den Wochen zuvor, abends zu Gast bei mir und einmal besuchten wir gemeinsam den großen Weihnachtsmarkt in der Innenstadt. Es war ein wunderschöner Abend, an dem wir viel Spaß hatten. Wir alberten an verschiedenen Ständen herum und amüsierten uns köstlich über die diversen Verkaufsvorführungen von Allesschneidern und anderen Küchengeräten. Das wirklich Besondere an diesem Abend war jedoch, dass Chris Sandra ein großes Lebkuchenherz mit der Aufschrift „Mein bester Freund“ gekaufte hatte. Sandra war von dieser Geste sehr bewegt und hatte sichtbar feuchte Augen bekommen. Ein kleiner, aber überaus bewegender Moment und ich war erfreut, ihn miterlebt zu haben. In der übrigen Zeit war ich Vorwiegend mit den Vorbereitungen für meine Reise nach Scottsdale beschäftigt. Das zwischenzeitlich eingetroffene Informationsmaterial verschaffte mir einen detaillierten Überblick über den Ablauf der Veranstaltung. Neben den auf verschiedene Tage verteilten Auktionen, fanden noch eine Reihe anderer Veranstaltungen, wie diverse Concour d’Elegance, Galas und Präsentationen statt. Ein reichhaltiges Programm, auf das ich mich sehr freute, erwartete mich unter der Sonne Arizonas. Daneben kümmerte ich mich noch um meinen Weinkeller. Mein Weinbestand hatte einen bedenklichen Tiefpunkt erreicht und war für meine bevorstehende Weihnachtsfeier kaum als ausreichend zu bezeichnen. Die beiden Geburtstagsfeiern, sowie die letztjährige Weihnachtsparty hatten ihren Tribut gefordert und ich hatte in dem vergangenen, überaus turbulenten Jahr vollkommen vergessen nachzukaufen. Mit einem Taxi, das in Anbetracht der bevorstehenden Weinproben die vernünftigere Wahl war, machte ich mich auf den Weg zu meinem Weinhändler. Fast den ganzen Nachmittag verbrachte ich dort mit dem Verkosten und anschließenden Auswählen von verschiedenen Sorten. Bei meinem Rundgang durch die vielen Regale entdeckte ich diverse Sauvignon Blanc, Geraldines Lieblingswein. Ich blieb eine Zeit vor den Flaschen stehen und dachte darüber nach, ob ich zwei oder drei Kisten davon kaufen sollten. Was sprach dagegen zur Sicherheit ein paar Kisten zu kaufen? Früher war es mir niemals unangenehm gewesen, dass ich Geraldines favorisierten Wein nicht Zuhause hatte. Aber die Vorstellung, Geraldine könnte mich eines Tages doch wieder besuchen und ich hätte ihren Wein nicht vorrätig, war mir jetzt unangenehm. Ihr ein Glas ihres Lieblingswein anbieten zu können, ein schöner Gedanke. Mein Vertrauen, dass diese Vorstellung in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden könnte, wurde vornehmlich durch den Eifer mit dem Chris schrieb genährt. Sein Enthusiasmus ließ mich hoffen, dass das Buch für Geraldine Ende Februar soweit fertig gestellt war, dass ich es lesen, spätestens Mitte März drucken lassen und zu einer Buchbinderei bringen konnte. Dieses Buch sollte einen ganz besonderen Einband bekommen, der die Einzigartigkeit dieses Buches unterstrich. Einen aufwändigen, altmodischen mit Lederrücken. Exakt so, wie Geraldine Bücher liebte. Trotz der vielen schönen Tage mit Chris und Sandra, meiner Vorfreude auf Scottsdale und den Vorbereitungen für meine Weihnachtsfeier, vermisste ich Geraldine kaum weniger als im Oktober und November. Die Spannung, wenn ich meine E-Mails abrief, ob sie mir nicht doch geschrieben hatte, war nicht geringer geworden. Ich hatte lediglich einen besseren Umgang damit gefunden.

   Zwei Tage vor Heiligabend kam ich auf die Idee einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Ich hatte seit vielen Jahren keinen Weihnachtsbaum mehr gehabt und ihn nie vermisst. Umso unerklärlicher war mir, warum ich in diesem Jahr unbedingt einen haben wollte. Unweit des Supermarkts hatte ich neulich einen dieser Weihnachtsbaum Verkaufsplätze gesehen. Zu Fuß machte ich mich auf den nicht allzu weiten Weg, ohne zuvor einen Gedanken daran verschwendet zu haben, wie ich den Baum nach Hause schaffen wollte. Die Auswahl war kurz vor Heiligabend erwartungsgemäß nicht mehr besonders groß. Es gab entweder kleine, beinahe mickrige Tannen oder solche für die man fast ein Schloss besitzen sollte. Unschlüssig ging ich zwischen den Tannen hin und her. Meine Wahl fiel am Ende auf eine, mit etwa 3 Meter Höhe, riesige Weiß-Tanne. Eingebunden in ein Netz zog ich den Baum hinter mir nach Hause. Gefühlt war der Weg jetzt viermal so lang, wie vorhin. Endlich, mit diesem Koloss im Schlepp, Zuhause angekommen wurde mir bewusst, dass ich weder einen Christbaumständer, noch eine Lichterkette, geschweige denn irgendwelchen Schmuck besaß. Der Weg in den nächsten Baumarkt war also unumgänglich. Zwei Stunden später kehrte ich mit einem ausreichend dimensionierten Weihnachtsbaumständer, drei Lichterketten und vielen roten sowie silbernen Christbaumkugeln zurück. Anschließend sägte ich den Baum in meinem Garten auf die passende Höhe zurecht, montierte den Ständer, der sich lange zäh widersetzte auf den Stamm gehen zu wollen, brachte die Tanne in mein Esszimmer und schmückte sie.

   Am Morgen des Heiligabends, noch bevor ich mit den letzten Vorbereitungen für meine Party begann, schrieb ich Sandra eine SMS. Im Gegensatz zu meinen sonstigen Gepflogenheiten im Umgang mit vielen meiner Mitmenschen war es mir bei Sandra wichtig, ihr frohe Weihnachten zu wünschen. Zu meiner Freude antwortete Sandra umgehend, wünschte mir ebenfalls frohe Weihnachten und brachte nochmals ihr Bedauern zum Ausdruck, nicht bei meiner Party anwesend sein zu können. Wie zu vermuten war bat sie mich neuerlich, während der Zeit ihrer Abwesenheit ein wachsames Auge auf Chris zu haben.

   Mit großer Verwunderung nahmen meine Gäste an Heiligabend den für mich ungewöhnlichen Weihnachtsbaum zur Kenntnis. Ich wurde sogar mehrfach darauf angesprochen, aus welchem Grund ich in diesem Jahr einen Weihnachtsbaum hatte. Wie in den vergangenen Jahren war auch in diesem Jahr die Stimmung ausgelassen und meine Gäste amüsierten sich blendend. Was unter anderem an Mable lag, die Chris heute im Gegensatz zu meiner Geburtstagsparty mitgebracht hatte. Wechselweise spulte sie das ganze Repertoire ihrer Kunststücke ab oder setzte ihr „ich bin der allerärmste Hund auf der ganzen Welt“ Gesicht auf. Etwas, dass sie ausnehmend gut kann und besonders bei den weiblichen Gästen auf Anklang stieß. Ich hoffte insgeheim, dass Mable den einen oder anderen Kontakt zwischen Chris und einer, der in diesem Jahr ausreichend vorhandenen Singlefrauen herstellen würde. Wenn Chris schon nicht an Sandra interessiert war, dann vielleicht an einer der attraktiven Frauen auf meiner Party. Eine, die diesen Geist Irina aus seinem Leben vertreiben konnte. Aber Chris machte zunächst keinerlei Anstalten. Er unterhielt sich mit einigen meiner Freunde, während Mable mit ihren Zirkuskünsten eine ganze Damenrunde in Verzückung versetzte. Mehrfach wurde Chris im Laufe des Abends von verschiedenen Frauen auf den kleinen Charmebolzen Mable angesprochen, doch es entwickelte sich in keinem Fall eine längere Unterhaltung daraus. Augenscheinlich war er an keiner dieser Frauen interessiert. Bevor Chris mit Mable lange vor Mitternacht reichlich müde die Party verließ, lud ich ihn für den Abend des 1. Weihnachtsfeiertags zum Resteessen ein. Der Hintergrund meiner Einladung war, dass ich in Erfahrung bringen wollte, warum sich Chris für keine der durchaus unterschiedlichen Frauen interessiert hatte und dass ich ihn endlich über meiner Reise nach Scottsdale unterrichten wollte. Früher als in den vorangegangenen Jahren hatte sich mein Haus bereits kurz nach 0:30 Uhr vollständig geleert. Mit dem letzten Glas Wein des Abends setzte ich mich auf mein Sofa und betrachtete das Durcheinander in meinem Wohnzimmer. Letztes Jahr um diese Zeit saß ich gemeinsam mit Geraldine ebenfalls hier. Ich erinnerte mich daran, als sei es gestern gewesen. Auch an die unsägliche Unterhaltung, die wir damals geführt hatten und an deren Ende Geraldine missmutig geworden war. Obwohl ich damals noch mit Maria liiert war, eine Tatsache, die Geraldine geflissentlich ignoriert hatte, war dieser Abend, rückblickend aus heutiger Sicht, mit Sicherheit eine der vielen verpassten Chancen. Davon hatte mich Geraldines letzte E-Mail überzeugt. Anstatt in Schwermut über Fehler der Vergangenheit zu verfallen, trank ich den letzten Schluck Wein auf Geraldine in der Hoffnung, dies würde das letzte Weihnachten ohne sie gewesen sein und die besseren Zeiten für uns würden bald beginnen, bevor ich ging zu Bett.

   Die Erfahrungen der vergangenen Wochen hatte mich gelehrt, dass es ratsam war. sich mit Chris nicht vor 19:30 zu verabreden. Ohne nennenswerte Verspätung trafen Chris und Mable am Abend des 1. Weihnachtsfeiertags fast pünktlich bei mir ein. Ich richtete die Reste des gestrigen Abends in einer Art Chaosbüffet auf dem Esstisch an. Eine Stunde aßen wir uns durch übriggebliebene Wurst- und Käsesorten, bevor wir uns mit einer Flasche Wein und einer Schale Weihnachtsgebäck in den Sesseln vor meinem Kamin niederließen. Ohne lange um den heißen Brei herum zu reden wollte ich von Chris wissen, ob ihm gestern keine der Frauen gefallen hatte.
„Doch“, gab mir Chris überraschend zur Antwort. „Die in dem roten Rollkragen-Pullover mit den halblangen braunen Haaren und die große blonde, die dauernd diese albern blickende Weihnachtsmannmütze aufhatte. Die ist wirklich sehr attraktiv.“
Nicole, die blonde mit der Weihnachtsmannmütze, ist Eventmanagerin und konnte ein ziemlich überdrehtes Huhn sein. Ich hatte sie vor etlichen Jahren bei einer dieser unumgänglichen PR-Veranstaltung für meine Bücher kennengelernt und wir waren ein paar Mal miteinander ausgegangen, bis mir ihre exaltierte, phasenweise kapriziöse Art zu anstrengend wurde. Nach unzähligen Beziehungen, deren Haltbarkeit jener von frischer Sahne entsprach, war sie wesentlich ruhiger geworden. Ohne dabei letztlich ruhig geworden zu sein. Vielleicht war das der Grund, warum sie trotz ihres fabelhaften Aussehens bis heute letzten Endes Single geblieben ist. Die andere, von der Chris sprach, war Rebecca, die von allen nur Becci genannt wurde. Sie ist Anwältin mit Schwerpunkt Straßenverkehrsrecht und ich war zeitweise einer ihre besten Mandanten. Vom Typ her ist Becci das genaue Gegenteil von Nicole. Eher leise und introvertiert. Trotzdem schlagfertig und witzig, mit ausgezeichneter Bildung und gutem Geschmack. Ein ganz klein bisschen wie Sandra. Aber auch bei Becci gab es einen Haken. Seit ihrer Scheidung vor 4 Jahren war sie noch arbeitswütiger geworden, als sie ohnehin schon war. Neben ihr wirkte Geraldine, die von den meisten als Workaholic bezeichnet wurde, beinahe wie ein Arbeitsverweigerer. Nichtsdestotrotz zwei interessante Frauen.
„Soll ich dir ihre Telefonnummern geben?“
Chris schaute mich verständnislos an.
„Ich will keine Beziehung mehr. Mit niemandem. Es wäre nur ein Spiel auf Zeit, das am Ende nur Verlierer hat. Ich dachte, du hättest das verstanden?“
Peinlich berührt wechselte ich das Thema und erkundigte mich nach den Fortschritten des Buchs. Wahrscheinlich wollte ich es gegenüber Chris und wahrscheinlich noch viel weniger mir selbst gegenüber, nicht zugeben, aber die Feiertage hatten mich Geraldine mehr vermissen lassen, als mir lieb war. Eine ungeheure Ungeduld trieb mich phasenweise um und an Tagen wie gestern konnte ich es nicht erwarten, bis Chris dieses Buch fertiggestellt hat. Zu meiner großen Beruhigung erzählte mir Chris, dass er inzwischen über die Hälfte geschrieben hatte und er sich sicher war, bis spätestens Ende Februar das Buch fertiggestellt zu haben. Mit gezielten Fragen versuchte ich Chris Details über den Inhalt zu entlocken. Bislang hatte er mir lediglich ein paar wenige, aus dem Zusammenhang gerissene Passagen vorgelesen oder mir grob berichtet, was in der Szene geschah, an der er gerade schrieb. Doch Chris beantwortete alle meine Fragen mit der gleichen Antwort. Schelmischem Grinsen und Schulterzucken. Ich startete einen letzten Versuch ihm, mit einer nach meiner Meinung clever gestellten Frage, doch noch die Handlung wenigstens im Groben zu entlocken.
Mit einem verschmitzten:
„Lass dich überraschen. Es wird dir gefallen und was noch viel wichtiger ist, es wird Geraldine gefallen.“, schmetterte er meine Frage mit einer überzeugenden Endgültigkeit ab.
Chris Ablehnung mich über Details der Handlung in dem Buch zu informieren, nutzte ich als Überleitung ihn von meiner Reise nach Scottsdale in Kenntnis zu setzen.
„Wenn du nichts sagen willst, ist es vielleicht ganz gut, dass ich im Januar ein paar Tage fort bin. Dann komme ich schon nicht in Versuchung, dich dauernd zu fragen.“
„Wohin gehst du?“, fragte mich Chris erstaunt. „Du hast bisher nie erwähnt, dass du Urlaub machen willst.“
„Urlaub würde ich das nicht nennen. Eher Informationsreise. Ich fliege Anfang Januar nach Scottsdale zu der großen Oldtimer Auktion.“
Chris war baff.
„Nach Scottsdale? Zu der größten Auktion überhaupt! Wow! Da würde ich auch gerne einmal hingehen.“
Von einem Augenblick zum andern wirkte Chris verträumt, als würden alle Autos, die er gerne einmal sehen würde, vor seinem geistigen Auge vorbeifahren.
„Ich fliege deswegen hin, weil ich denke, dass jetzt noch ein guter Zeitpunkt ist nach einer 63er Corvette zu suchen, bevor deren Preise ebenfalls explodieren“, bemühte ich mich Chris sachlich den Grund für meine Reise zu erklären.
Chris nickte zustimmend.
„Wann fliegst du?
„Am 8. Januar und ich komme am 20. wieder zurück. Solange kannst du in Ruhe schreiben, ohne dass ich dich mit Fragen nerve.“
Chris grinste spitzbübisch.
„Jaja, du hast den Spaß und ich die Arbeit. Die Welt ist einfach ungerecht. Aber was tut man nicht alles für die Liebe.“
Ich war mir nicht sicher, auf was Chris mit diesem Nachsatz wirklich anspielte. Er konnte Geraldine und mich gemeint haben. Genauso gut aber sich selbst, im Zweifel sogar Sandra. Ich hielt es für klüger nicht nachzufragen und diesen Satz einfach unkommentiert stehen zu lassen.
„Falls ich eine finde.“
„Schwarz, mit Schaltgetriebe!“ schnitt mir Chris das Wort ab.
Ich setzte erneut an.
„Falls ich eine schwarze mit Schaltgetriebe zu einem akzeptablen Preis finde, darfst du sie jederzeit fahren. Das ist das mindeste was ich dafür tun kann. Immerhin schreibst du für mich dieses Buch. Das ist keine Kleinigkeit. Ich stehe tief in deiner Schuld.“
Chris war sichtlich berührt.
„Ich mache das gerne, das weißt du. Und wie ich bereits sagte, ich wollte schon immer ein Buch schreiben. Mir hatte bisher nur der Anlass dazu gefehlt.“
Dann wurde sein Gesichtsausdruck nachdenklicher.
„Ich fahre nicht mehr so gerne Auto wie früher. Es strengt mich an. Besonders länger Strecken.“
„Aber du fährst alleine zu deiner Untersuchung. Das sind fast 180 Kilometer. Das müsste dir dann doch auch zu viel sein?“
„Das ist etwas anders. Ich mache das, weil ich alles, solange es mir möglich ist, alleine machen möchte. Das ist mir enorm wichtig. Kannst du das nicht verstehen?“
Ich konnte das gut verstehen. Wahrscheinlich würde ich an seiner Stelle genauso handeln.
„Ich weiß, wie wir das Problem lösen. Wir machen längere Fahrten gemeinsam und du fährst solange du möchtest. Was hältst du davon?“
Chris blickte mich zufrieden an.
„Das ist eine hervorragende Idee!“, pflichtete er mir enthusiastisch bei.
„So komme ich zu Fahrten mit der Corvette und du zu deinem Buch oder mehr.“, fügte Chris süffisant ein paar Sekunden später hinzu.
„Auf diese Win-Win Situation sollten wir trinken. Was hältst du von einem kleinen Glas Whisky? Ich dachte an einen Strathisla.“
„Sehr gerne. Den kenne ich auch noch nicht.“, antwortete Chris interessiert.
Froh darüber, mit Chris endlich über die Reise nach Scottsdale gesprochen zu haben, ging ich zu meiner Bar und holte den versprochenen Whisky. Wieder zurück bei Chris am Kamin, erkundigte ich mich, nachdem er den Strathisla probiert hatte, was er für Silvester geplant hatte. Ich hatte die Idee ihn zur Silvesterparty meines Freundes mitzunehmen, um ihm ein bisschen Ablenkung an diesem Abend zu verschaffen. Vorausgesetzt er hatte keine anderen Pläne. „Vielen Dank, das ist sehr nett von dir. Aber das geht leider nicht.“
Chris erklärte mir, dass er Mable, die vor der Knallerei panische Angst hatte, keinesfalls alleine Zuhause lassen konnte und aus diesem Grund Silvester mit ihr Zuhause verbringen würde. Wir tranken noch ein kleines Glas Springbank 13 Years Green, einen weiteren Single-Malt den Chris ebenfalls noch nicht kannte und unterhielten uns eine Weile über unser Lieblingsthema alte Autos, bevor Chris und Mable gegen 23 Uhr nach Hause aufbrachen. Ich versprach ihm, ihn bis mindestens Neujahr von weiteren Nachfragen über die Fortschritte des Buchs zu verschonen und ihn in Ruhe arbeiten zu lassen.

   Der letzte Tag des Jahres war gleichzeitig der erste in diesem Jahr, an dem ich einen Anzug anzog. Trotz der stets äußerst ausgelassenen Stimmung auf der Silvesterparty meines Freundes herrschte eine strenge Kleiderordnung. Meine Wahl fiel auf einen dunkelgrauen Anzug mit roter Krawatte. Immer passend, immer langweilig. Auf dem kurzen Weg zu seinem Haus, den ich wie jedes Jahr zu Fuß nahm, begann es typisch für diesen Winter, der diese Bezeichnung bislang nicht verdient hatte, leicht zu regnen. Für die überwiegende Mehrheit seiner Gäste kam es einer kleinen Sensation gleich, dass ich in diesem Jahr ohne weibliche Begleitung erschienen war. Eine Tatsache, die auch für mich ungewohnt war. Dafür hatte ich in diesem Jahr mein Handy dabei. Nicht das ein Handy ein geeigneter Ersatz für eine Frau an meiner Seite war, ich wollte nur sichergehen, an diesem Silvester keine Nachricht zu verpassen. Besonders keine von Geraldine. Einer der nicht dokumentierten Bräuche am Silvesterabend muss das alljährliche repetierhafte Wiederholen nostalgischer Geschichten längst vergangener Tage sein. Ich bildete dabei keine Ausnahme. Mit einigen alten Bekannten unterhielt ich mich angeregt über Streiche aus der Jugend und im Allgemeinen über die guten alten Zeiten. Obwohl diese Bekannten in meiner Nähe wohnten, bekam ich sie nur selten zu Gesicht. Ein Umstand, der mit Sicherheit der Tatsache geschuldet war, dass sie verheiratet waren und Kinder hatten und somit einen anderen Lebensrhythmus als ich. Umso mehr freute ich mich, sie jedes Jahr an Silvester zu treffen. Pünktlich zum Glockenschlag um Mitternacht der kleinen Kirche unseres Vororts zündeten im Garten die ersten Raketen und Böller. Wie jedes Silvester untermalt von dem im Hintergrund aus diversen Lautsprechern schallenden „Happy new Year“ von ABBA. Manches änderte sich wohl nie. Aber in diesem Jahr wäre „Auld Lang Syne“, das im Vorjahr einige Engländer lautstark angestimmt hatten, aus meiner Sicht angemessener gewesen und ich vermisste dieses Lied. Nachdem die Knallerei beendet war und jeder jedem ein gutes neues Jahr gewünscht hatte, begann das unumgängliche Zücken der Handys. Im Gegensatz zu den Jahren davor, in denen ich mir dieses absonderliche Schauspiel belustigt angesehen hatte, war ich in diesem Jahr ein Teil davon. Im Vergleich zu den meisten, die ihre Neujahrsglückwünsche an Gott und die Welt versendeten, war meine Liste äußerst übersichtlich. Chris und Sandra. Ich machte mir gründlich Gedanken über die Wortwahl meiner SMS an die beiden. Unter keinen Umständen wollte ich meine Formulierung missverstanden wissen. Sechs Mal löschte ich den Inhalt und tippte erneut, bis ich schließlich mit dem Wortlaut zufrieden war. Wenige Minuten später erreichte mich der Übertragungsbericht meiner SMS an Sandra, gefolgt von einer sehr lieben Nachricht ihrerseits. Der Übertragungsbericht der SMS an Chris blieb jedoch aus. In unregelmäßigen Abständen kontrollierte ich im Verlauf der nächsten Stunde mein Handy. Aber der Übertragungsbericht blieb weiter aus. Genauso, wie die von mir insgeheim erhoffte SMS von Geraldine. Chris musste sein Handy wieder ausgeschalten haben und ich fragte mich warum. Dafür bestand kein vernünftiger Grund. Im Gegenteil. Keiner seiner Freunde, ganz besonders Sandra, war so in der Lage ihn in der Silvesternacht zu erreichen. Anderseits hatte auch sein Geburtstag ihn nicht davon abgehalten sein Handy abzuschalten. Die angeregte Unterhaltung vor Mitternacht hatte mich das Büffet vergessen lassen und hatte ich Hunger bekommen. Zu meinem Glück war das Büffet nach Mitternacht aufgefüllt worden und bot wieder eine ausreichend große Auswahl an Speisen. Mit einem Teller voll verschiedener Salate, etwas Käse und Brot, setzte ich mich auf einen der wenigen freien Stühle und beobachtete nebenher das bunte Treiben um mich herum. Etwa um halb Drei wurde ich müde und verließ ich die Party mit einem deutlich geringeren Alkoholpegel als in den Jahren zuvor.

   Am frühen Nachmittag des 1. Januar hatte ich noch immer keinen Übertragungsbericht meiner SMS an Chris und ich wurde unruhig. Ich zog kurz in Erwägung Sandra anzurufen, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder, weil ich sie im Zweifel nicht unnötig in Angst und Schrecken versetzen wollte. Die beste Möglichkeit herauszufinden, ob mit Chris alles in Ordnung war, stellte ein Spaziergang im Park zu der Zeit dar, in der Chris üblicherweise mit Mable Gassi ging. Zudem würde mir ein Spaziergang an der frischen Luft sicher auch nicht schaden. Ein paar Minuten vor 16:30 machte ich mich auf den Weg. Für diesen trüben und feuchtkalten Tag waren erstaunlich viele Spaziergänger unterwegs. Die allermeisten ohne Hund und damit ohne die Notwendigkeit an diesem ungemütlichen Tag das Haus verlassen zu müssen. Auf halbem Weg zum toten Baum erkannte ich etwa 50 Meter von mir entfernt unterhalb einer der hier selten Buchen Mable, die intensiv mit einem Mäuseloch beschäftigt war. Irgendwo hier sollte Chris sein. Ich blieb stehen und sah mich um.
„Frohes neues Jahr, du Langschläfer.“
Mit Erleichterung vernahm ich hinter mir den Klang einer vertrauten Stimme.
„Wünsche ich dir auch. Wieso hast du dein Handy wieder aus? Hat das einen bestimmten Grund?“, sprudelte meine Neugier aus mir heraus. „Ich hatte dir um Mitternacht eine SMS geschrieben, erhielt aber keinen Übertragungsbericht.“
Chris sah mich erstaunt an.
„Oh, das muss ich vergessen haben aufzuladen. Tut mir leid. Diese Smartphones haben einfach keine vernünftige Standby Zeit.“
Chris Antwort klang überzeugend.
„So kann dich an Silvester niemand erreichen, nicht einmal Sandra oder ich.“, gab ich zu bedenken.
Chris überging meine Bemerkung und rief stattdessen Mable zu sich.
„An den Feiertagen ist der Park viel zu voll, um Mable machen zu lassen, was sie will.“
Chris wirkte von den vielen Spaziergängern sichtlich genervt. Ich erkundigte mich, wie Mable die Knallerei in der Nacht überstanden hatte.
„Soweit ganz gut. Ich war mit ihr im Arbeitszimmer und hatte die Musik so laut, dass die Knallerei kaum zu hören war.“
„Und jetzt hat sie einen Hörschaden, oder?“
„Sicher nicht. Sie hat doch noch nie gut gehört.“, erwiderte Chris auf Mables ständiges überhören von Kommandos anspielend.
Wir liefen mit Mable, die heute ausnahmsweise bei Fuß ging, weiter Richtung toter Baum.
„Wie war deine Party?“ erkundigte sich Chris.
„Gut, wie jedes Jahr.“
Ich berichtete Chris ausführlich über die Party. Erzählte von den Gästen, den Gesprächen und davon, dass ich in diesem Jahr die aus voller Brust „Auld Lang Syne“ schmetternden Engländer vermisst hatte. Dabei hob ich besonders hervor, dass ich in diesem Jahr ausnahmsweise nicht zu viel getrunken hatte. Chris nickte anerkennend, bevor er überraschend fragte, ob ich Geraldine ein gutes neues Jahr gewünscht hatte. Ich wurde verlegen.
„Nein, das habe ich nicht. Aber sie hat sich bei mir auch nicht gemeldet.“
Chris war entsetzt.
„Was ist denn das für eine Logik? Weil sie sich nicht meldet, meldest du dich auch nicht? Das hat etwas von Kindergarten. Weißt du, was du ihr damit signalisiert hast?“
Chris wartete meine Antwort nicht ab, sondern beantwortete seine Frage selbst.
„Desinteresse, schlichte Desinteresse!“
„Du hast doch selbst gesagt, ich soll nichts unternehmen, bis das Buch fertig!“, fuhr ich Chris an.
„Nichts unternehmen heißt nicht, grundlegende Regeln des menschlichen Miteinander außer Kraft zu setzen. Einem nahestehenden Menschen ein gutes neues Jahr zu wünschen ist kein Versuch eine Beziehung wieder in Gang zu bringen, sondern reine Höflichkeit. Besonders wenn man bedenkt, wie lange ihr euch schon kennt. Außerdem ich hatte ich nie gesagt, du sollst gar nichts unternehmen. Ich hatte gesagt, ein Buch hat den Vorteil, dass sie zuerst alles lesen kann und du nicht gleich direkt mit ihr reden musst.“
So wenig es mir gefiel, Chris hatte Recht. Ich hatte schon die Glückwünsche zu meinem Geburtstag unbeantwortet gelassen, weil ich mich über den Inhalt ihrer Nachricht geärgert hatte. Genau genommen dasselbe Signal. Zudem hatte ich seine Äußerung überinterpretiert. Ich hielt es für klüger nicht weiter auf Chris Bemerkungen einzugehen. Aber Chris ließ nicht locker.
„Du hast doch nicht wirklich geglaubt Geraldine würde dir ein gutes neues Jahr wünschen, nachdem du es nicht einmal für nötig gehalten hast ihre Glückwünsche zu deinem Geburtstag zu beantworten?“
Chris blieb stehen und musterte mich genau.
„Doch, du hast es geglaubt, oder zumindest gehofft! Unglaublich! Hast du vergessen was ich dir gesagt hatte? Geraldine wird sehr genau beobachten was du tust, bevor sie überzeugt ist und einen Schritt auf dich zugeht. Sie zu ignorieren ist kontraproduktiv. Ich hoffe für dich, dass du es damit nicht endgültig versaut hast!“
„Können wir das jetzt lassen?“, unterbrach ich Chris aufgewühlt. „Ich weiß, dass es nicht besonders klug war.“
Chris zog eine Augenbraue hoch und ging weiter. Obwohl ich wusste, dass Chris nichts Falsches gesagt hatte und seine Kritik berechtigt war, brodelte es in mir.
„Warum hast du dann Irina nicht ein gutes neues Jahr gewünscht?“, stänkerte ich. „Wenn dir Höflichkeit doch so wichtig ist! Ihr kennt euch noch länger.“
Chris blieb stehen.
„Dafür gibt es Gründe.“, sagte er bestimmend. „Sehr gute Gründe. Sie wird nur noch eine allerletzte Nachricht erhalten, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht. Die versprochene Zigarettenschachtel. Damit sie weiß woran sie ist. Mehr braucht sie nicht zu wissen. Außerdem übersiehst du entscheidendes. Wer von uns will unbedingt die Frau zurück haben? Du, nicht ich! Also verhalte dich danach!“
„Und weil dir Irina überhaupt nichts mehr bedeutet trägst du noch dieses dämliche Armband“, entgegnete ich schnippisch.
Chris Gesichtsausdruck wurde hart.
„Es ist eine Erinnerung an sie, mehr nicht. Zudem weiß sie davon nichts und wird es auch nie erfahren.“
„Was sagt eigentlich Sandra zu dem Armband? Sie wird doch Fragen gestellt haben?“
Chris sah mich fragend an.
„Gar nichts. Warum soll sie dazu etwas sagen? Es ist nur ein Armband, wie es heute viele tragen.“
„Wegen ihrer Reaktion auf deine Halskette, deshalb frage ich.“
„Ach deswegen“, erwiderte Chris gelassen. „Ich denke nicht, dass sie die beiden S bemerkt hat und wenn doch kann sie sicher damit nichts anfangen. Sandra ist nicht wie du. Dich hat dein ehemaliger Job gelehrt auf die winzigsten Details zu achten.“
Ob sich Chris da nicht täuschte? Frauen bemerken gemeinhin mehr, als wir Männer annehmen und ganz besonders eine wie Sandra dachte ich, während wir unseren Spaziergang fortsetzten.