Der Hund

Eines Tages entschloss sich der Mann, seines Alleinseins überdrüssig, einen Hund anzuschaffen. Er besuchte verschiedene Tierheime. Nicht zu groß sollte er sein, ruhig, anhänglich und voller Kraft, vor allem aber treu. Nach längerem Suchen wurde der Mann schließlich fündig. Er nahm den Hund mit nach Hause und eine Zeitlang lebten die beiden in großer Harmonie. Die täglichen Spaziergänge mit dem Hund erfreuten den Mann, er schenkte seinem Hund Liebe und Aufmerksamkeit und der Hund gab sie in gleicher Weise dem Mann zurück. Mit der Zeit aber wuchsen die Ansprüche des Mannes an seinen Hund. Wachsam und aufmerksam sollte er sein, statt ruhig und anhänglich. Zuerst verstand der Hund nicht, warum sein Herr anderes von ihm verlangte. Doch er wollte seinem Herrn gefallen, war treu und so passte er sich an.

Als der Hund alles beherrschte, was sein Herr von ihm verlangte hatte, veränderten sich die Ansprüche seines Herrn an ihn erneut. Nun sollte der Hund unabhängig sein, sich mehr mit seinen Artgenossen beschäftigen und nicht mehr zu verschmust und anhänglich sein. Wieder verstand der Hund nicht, warum sich die Ansprüche seines Herrn ihn erneut geändert hatten, doch wie schon beim ersten Mal passte sich der treue Hund wieder den Ansprüchen seines Herrn an. Ein paar Monate später wollte der Mann, dass sein Hund wieder so ist, wie er am Anfang gewesen war. Die wiederholte Umstellung fiel dem Hund diesmal schwerer als sonst, dennoch strengte er sich an, denn er wollte seinem Herrn gefallen. Doch es sollte nicht die letzte Umstellung gewesen sein. Eines Tages verlangte der Mann von seinem Hund, dass er wieder wachsam und aufmerksam sein sollte. Der Hund verstand nicht, warum er sich wieder verändern sollte. War sein Herr, so sehr er sich auch anstrengte nie zufrieden mit ihm. Mittlerweile waren auch die täglichen Spaziergänge mit dem Hund und die Aufmerksamkeit die der Hund benötigte dem Mann eine Last geworden. Als der Mann seinen Hund während eines Spaziergangs wegen eines kleinen Fehlverhaltens stark maßregelte, erinnerte sich der Hund an die friedliche, aber einsame Zeit im Tierheim. Er nutzte die erste Gelegenheit die sich ihm bot und rannte weg. Er lebte auf der Straße und ernährte sich aus Mülltonnen. Nachts, wenn er einen sicheren Platz zum Schlafen gefunden hatte, erinnerte er sich am die schönen ersten Monate mit dem Mann. Der schönsten Zeit seines Lebens.

Ein paar Tage hatte der Mann nach dem Hund gesucht, die Suche, schnell aber aufgegeben. Seine Freunde, die nie verstanden hatten, warum sich der Mann den Hund überhaupt zugelegt hatte, bestärkten ihn in seiner Entscheidung. Ohne den Hund war sein Leben einfacher geworden .Er musste nicht mehr täglich mit dem Hund spazieren gehen und war wieder frei in seinen Entscheidungen. Nach ein paar Monaten hatte der Mann den Hund fast vergessen. Er lebte wieder sein altes Leben. Eines Tages, der Mann war zu Fuß auf dem Weg nach Hause, sah er den Hund ein paar hundert Meter von sich. Er zögerte einen kurzen Moment, dann rief er nach dem Hund. Der Hund hielt kurz inne und drehte sich nach dem Mann um. Aber statt den Erinnerungen an die schönen Tagen, war in diesem Moment die Erinnerung an all das, was der Hund nie verstanden hatte präsenter und anstelle seinem Herrn entgegen zugehen, rannte der Hund über die Straße, wurde von einem Bus erfasst und verstarb. Kopfschüttelnd setzte der Mann seinen Weg fort. Was für ein dummer Hund, bin ich froh, dass ich ihn los bin, dachte der Mann.


Die Geschichte ist als Download im epub-Format hier erhältlich.

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