Die Königin (Teil 3)

Kurz nach dem ersten Tanz des Sommerballs stellte der alte Kanzler seiner Königin den Ritter vor. Die Königin war von dem Ritter ohne Wappen sichtlich angetan. Beruhigt trat der alte Kanzler einen Schritt zur Seite. Als der Ritter die Königin schließlich um die Ehre eines Tanzes bat, entfernte sich der Kanzler in der Gewissheit, dass seine Königin ihr Glück gefunden hatte. Zum Erstaunen der Gäste tanzte die Königin an diesem Abend nur noch mit diesem Ritter und schnell machten unter den Gästen die ersten Fragen und Vermutungen die Runde.

Als der Kanzler am nächsten Morgen in den Thronsaal betrat, fand er dort eine glückliche und zufriedene Königin vor. Ihre funkelnden Augen strahlten heller, als die Edelsteine ihre Krone. Der Sommer verging, ebenso der Herbst und aus dem Ritter ohne Wappen, war der erste Ritter der Königin geworden, ihre wichtigste Stütze und ihr ruhender Pol. Im folgenden Winter verstarb der alte Kanzler, zufrieden mit dem Glück seiner Königin und im beruhigenden Wissen, seiner Königin nicht nur stets ein treuer Ratgeber und Untertan gewesen zu sein, sondern auch ein väterlicher Freund.

Nach dem Tod des Kanzlers, der stets auf Ausgleich und inneren Frieden bedacht war, sah die Entourage der Königin die Stunde gekommen, ihren Einfluss auf die Königin, der seit dem Auftauchen des Ritters kleiner und kleiner geworden war, wieder zurück zu erlangen. Ein Ritter ohne Wappen, ist nicht von Bedeutung. Er ist nicht für euch geeignet. Wer weiß, was er im Schilde führt? Er wird Euch nie so behandeln, wie ihr behandelt werden solltet. Er wird Euch nie so treu ergeben sein wie wir und euer Volk und Euch eines Tages verlassen. Kein Tag verging, ohne dass versucht wurde, den Glauben der Königin an die Aufrichtigkeit des Ritters zu erschüttern. Alsbald zeigten die Versuche Wirkung. Hatte die Königin noch während des Herbstes ihre freie Zeit fast ausschließlich mit dem Ritter verbracht, distanzierte sie sich im Winter immer mehr von ihm, gewährte ihm kaum noch Zeit und verbrachte ihre freien Tage wieder mit ihrer Entourage.

Der Ritter spürte, dass sich die Königin veränderte hatte und begann sich zu fragen, ob er seine Königin gekränkt hatte. Doch er fand keine Erklärung, kein Fehlverhalten, das ihm zur Last gereichte, bis zu jenem Tag, an dem ein einfacher Diener ihn von dem Gerede unterrichtete. Der Ritter war ein Meister des Schwertes und der Lanze, gegen diese Ränke jedoch konnte und wollte er sich nicht zur Wehr setzen. In der Nacht des nächsten Neumondes verließ der Ritter im Schutze der Dunkelheit das Schloss der Königin. Als er weit genug weg war, gab er seinem Pferd die Sporen, nicht aber ohne sich ein letztes Mal umgedreht und der Königin ewige Liebe geschworen zu haben.

Als die Königin am nächsten Morgen davon unterrichtet wurde, dass die Gemächer des Ritters leer seien und auch sein Pferd nicht mehr im Stall stand, war sie von der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ihrer Entourage, deren war wahres Ziel sie nie verstanden hatte, erschüttert. Die Monate vergingen und schnell kam der alljährliche Sommerball näher. Schmerzlich begann sich die Königin an ihren Sommernachtstraum mit dem Ritter zu erinnern und mit jedem Gedanken an ihn, wurde die Frage, warum er sie verlassen hatte in ihr lauter. Doch was sollte die Königin ohne die Güte ihres Vaters und der Weisheit des alten Kanzlers tun?

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