Der Mann mit dem Hund: Drei W̦lfe РProlog

Montag, 14.02.2005, irgendwo in den Dinariden im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien. Vor etwas mehr als 48 Stunden hatte ich von einer vertrauenswürdigen Quelle endlich den entscheidenden Hinweis bekommen, wo sich die von mir seit 4 Jahren gesuchte Person in dieser Nacht aufhalten sollte. Nach 2 Tagen beschwerlicher Klettertour durch das Gebirge, begleitet von starken Stürmen und pausenlosem Schneetreiben, hatte ich mein Ziel kurz nach 3 Uhr in der Nacht erreicht. Meine Jagd stand kurz vor ihrem Ende. Von einem Felsvorsprung aus beobachtete ich, versteckt unter einer isolierenden Tarndecke seit über 3 Stunden ein altes Bauernhaus, vor dem 2 alte russische UAZ-Jeeps parkten. Die Wärmebildkamera zeigte, dass sich 6 Personen darin befanden, die offenbar alle schliefen. In knapp einer Stunde wird die Dämmerung anbrechen. Es war an der Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Zur exakten Bestimmung der Distanz griff ich nach dem Entfernungsmesser. Er zeigte 855 Yards bis zur Türe des Bauernhauses an. Damit lag sie in Reichweite meines M40-A3. Ich nahm eine 308 Lapua Scenar-L Patrone aus meiner Tasche und führte sie in den Lauf meines Gewehres ein. Mit einem metallischen Klacken schloss sich der Verschluss. Anschließend maß ich die Windgeschwindigkeit. Sie betrug nur noch knapp 2 Beaufort. In der letzten Stunde hatte es aufgehört zu stürmen und zu schneien. Mittlerweile hatte es aufgeklart und ich konnte die Sterne am Himmel erkennen. Es herrschten jetzt beinahe optimale Bedingungen. Ich legte den Windmesser in meinen Rucksack zurück, griff nach meinen Gewehr, justierte das Zielfernrohr und legte es rechts neben mich. Jetzt begann das Warten. Ich spürte, wie mein Herz immer stärker klopfte und mein Atem schwerer ging. In unregelmäßigen Abständen griff ich zur Wärmebildkamera und überprüfte, ob sich in dem Haus etwas bewegte.

90 weitere, endlos lang wirkende Minuten vergingen, bis sich im Inneren des Hauses etwas tat. Nach und nach standen die Personen auf und bewegten sich durch das Haus. In der Zwischenzeit war es längst hell geworden und die aufgehende Sonne stand flach am Horizont eines klaren blauen Morgenhimmels. Der Moment war gekommen, mein Gewehr in Anschlag zu bringen, um den wichtigsten Schuss meines Lebens auszuführen. Ich blickte durch das Zielfernrohr auf die Türe und versuchte so ruhig wie nur irgend möglich zu atmen. Bei meinen früheren Einsätzen war das für mich nie ein Problem gewesen. Aber im Gegensatz zu heute war ich zuvor niemals emotional involviert gewesen. Es hatte sich, bei den mir persönlich unbekannten Menschen lediglich um Ziele gehandelt, die aus Gründen, die ich oft nicht kannte, ausgeschaltet werden mussten. Ein Befehl, der durchgeführt wurde. Diesmal war alles anders. Es gab keinen Befehl und ich kannte das Ziel nur zu gut. Der Drang diese Person zu töten war in den letzten 4 Jahren zu einer bestimmenden Triebfeder meines Lebens geworden. Der unbändige Wunsch nach Gerechtigkeit, die an diesem Morgen aus dem Lauf meines M40 kommen sollte.

Plötzlich öffnete sich die Türe und 3 Männer traten hinaus. Ihnen folgten ein weiterer Mann, eine Frau und schließlich noch ein Mann. Sie versammelten sich um den hinteren der beiden Jeeps und standen dabei so, dass ich kein freies Schussfeld auf mein Ziel hatte. Für einen kurzen Moment wandten sich zwei der Männer dem vorderen Jeep zu und ich hatte ein freies Schussfeld. Anders, als ich es jahrelang trainiert und 93 Mal ausgeführt hatte, visierte ich nicht den linken Brustbereich meines Zieles an, sondern den Kopf. Ich wollte damit nicht eine falsche Spur legen, sondern eine unmissverständliche Botschaft hinterlassen. Unmittelbar bevor ich abdrücken konnte drehten die beiden Männer sich wieder zurück und versperrten mir erneut die Sicht. Ich bewegte mein Gewehr etwas nach rechts, in der Hoffnung mein Ziel aus dieser Position eher treffen zu können. Auf einmal deutete einer der Männer mit der Hand in meine Richtung. Hektisch suchten die 6 Personen Deckung hinter dem Jeep. Zuerst konnte ich mir nicht erklären, wie er mich ausgemacht haben konnte, bis mir auffiel, dass mir durch die Bewegung des Gewehres die Tarndecke leicht verrutscht war und die Sonne damit direkt auf mein Zielfernrohr schien. Der Mann musste diese Reflektion bemerkt haben. Ein paar Sekunden später fielen die ersten Schüsse aus AK47ern in meine Richtung. Zwar waren sie ungefährlich, da diese Sturmgewehre nicht über die notwendige Reichweite verfügten, dennoch musste ich zusehen, dass ich so schnell wie möglich hier wegkam. Hastig verstaute ich meine Ausrüstung in meinem Rucksack, schnappte mein Gewehr und meine Decke und machte mich auf den Weg. Binnen kürzester Zeit wird es hier vor schwer bewaffneten Subjekten nur so wimmeln. Hals über Kopf machte ich mich auf den Weg Richtung Bosnische Grenze. Den ganzen Tag lief und kletterte ich durch das unwegsame Gebirge, in der Hoffnung meine Verfolger abgeschüttelt zu haben.

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichte ich eine Höhle, deren Eingang von außen nur schwer zu erkennen war. Ein guter Ort um die Nacht zu verbringen. Ich ging etwa 10 Meter tief hinein, bis ich hinter einer Ladung Geröll einen geeigneten Platz fand. Ich wickelte mich in meine Decke, entsicherte die SIG Sauer und legte sie direkt neben mich. Angespannt lauschte ich, ob draußen Motorengeräusche, Stimmen oder sonst etwas Auffälliges zu hören war. Aber es herrschte absolute Ruhe. Langsam fielen mir die Augen zu und ich versuchte ein paar Stunden Schlaf zu finden. Doch es gelang mir nicht. Immer wieder jagten Bilder dessen, was sich vor 4 Jahren in einem Hotelzimmer abgespielt hatte durch meinen Kopf. Bilder, die mich seit diesem Tag verfolgten, die ich nicht vergessen konnte und die ich mit dem Schuss, der mir heute Morgen nicht gelang, endlich aus meinem Kopf vertreiben wollte. Statt zu schlafen wälzte ich mich unruhig hin und her. Wieder und wieder ging ich die Ereignisse der Nacht vom 28. auf den 29. März 2001 durch. So, wie ich es die vergangenen 4 Jahre fast jede Nacht gemacht hatte und wie immer gelangte ich zu dem gleichen Ergebnis.

Als es zu dämmern begann packte ich meine Sachen und brach auf. Laut GPS waren es noch 15 Kilometer bis zur Grenze. Unweit der Höhle verlief ein schmaler steiniger Weg entlang der Steilhänge der hochaufragenden Berge Richtung Westen. Über Nacht hatte es wieder angefangen zu schneien und ich hinterließ eine verräterische Fußspur auf der unberührten Schneedecke, die es meinen Verfolgern einfach machen wird meine Spur aufzunehmen. Ich folgte dem Pfad bis ich am frühen Nachmittag eine Weggabelung auf einer Anhöhe erreichte. Das starke Schneetreiben des Vormittags hatte in der letzten Stunde nachgelassen und langsam riss der Himmel auf. Von hier aus konnte ich die Umgebung gut überblicken. Ich holte mein Fernglas unter meiner durchnässten Jacke hervor und suchte die Gegend ab. In circa 2 Kilometer Entfernung erkannte ich eine Gruppe Reiter, etwa 20 Mann soweit ich feststellen konnte, die rasch näherkamen.

Ich rannte weiter, so schnell es der steinige Weg zuließ. Die Grenze konnte nicht mehr allzu fern sein. Mein GPS-Modul, dessen Sender neben meinen genauen Standort auch eine Kennung übermittelte, die eindeutig mir zugeordnet war, zeigte an, dass ich noch knapp 3 Kilometer von der Grenze entfernt war. Immer wieder hielt ich kurz an und überprüfte, wie weit meine Verfolger noch von mir entfernt waren. Als sie gefährlich nahe waren, suchte ich nach einer geeigneten Verteidigungsstellung. Mein Blick fiel auf ein kleines Hochplateau links oberhalb des Weges, das geschützt hinter etlichen großen Gesteinsbrocken lag. Keine optimale Position, aber meine Verfolger waren zu nahe um noch länger Ausschau nach einer besseren halten zu können. Ich kletterte über ein paar Felsen, bis ich eine geeignete Stelle fand, hinter der ich mich verschanzen konnte. Ich legte meinen Rucksack ab und holte die Munition aus meinen Taschen hervor. 20 Schuss für mein Gewehr und zwei Ersatzmagazine mit jeweils 15 Schuss für meine Pistole. Insgesamt also 65 Schuss. Nicht gerade viel für einen Kampf mit meinen sicher gut ausgerüsteten Verfolgern. Mit dem geladenen Gewehr im Anschlag wartete ich, als der Klang der näher kommenden Pferdehufe unerwartet durch ein dumpf waberndes Geräusch übertönt wurde. Der vertraute und jetzt rettende Klang von UH-60 Hubschraubern, die sich im Anflug auf meine Position befanden. Jemand musste die Signale meines GPS-Senders aufgefangen haben. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung aus der die Rotorengeräusche kamen. Wenige Augenblicke später tauchten zwei Black Hawks ohne Kennung hinter mir auf und eröffneten mit ratternden Salven aus ihren M144 Bordgeschützen das Feuer auf meine Verfolger. Ketten grüner Leuchtspurmunition jagten über meinen Kopf hinweg und schlugen dicht vor meinen Verfolgern ein.

Ein Gedanke zu „Der Mann mit dem Hund: Drei Wölfe – Prolog“

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