Aiming to miss…

Heute morgen, während des Spaziergangs mit meinem Hund, erinnerte ich mich an diesen Satz aus William Goldings “Lord of the Flies” und die lange Diskussion, die dieser  in der Schule damals ausgeöst hatte. Als im Schnitt 17-jährige hatte kaum jemand verstanden, warum jemand auf etwas zielen sollte, um es verfehlen zu wollen.

In besagter Szene am Strand wirft Roger einen Stein nach den Zwillingen, zielt aber absichtlich vorbei.

In gewisser Weise ist “Drei Wölfe”, der erste Teil von “Der Mann mit dem Hund” ebenfalls “aiming to miss”. Ein absichtliches Vorbeizielen. Dies ist nicht nur dem zeitlichen Ablauf, der damaligen  Position des Erzählers und dem ursprünglich geplanten offenen Ende geschuldet, sondern auch meiner Hoffnung, es würde letzten Endes so verstanden werden, wie ich es geschrieben hatte. “Aiming to miss” war damals genau meine Absicht.

Während der Arbeit zu Teil 2 “Die andere Seite des Spiegels” stellte ich eine Abkehr von dieser Absicht fest, deren Ursprung ich mir zunächst nur unvollständig erklären konnte und sie zuerst auf die veränderte Rolle des Erzählers schob.

„Manchmal ist Diplomatie nicht das richtige Mittel. Freundlich und in aller Höflichkeit um wichtige Themen herumzuschleichen bringt niemand weiter. Manches muss, wenn die Zeit dafür gekommen ist, direkt angesprochen werden. Sonst verfehlst du in aller Freundlichkeit das Ziel.“

Chris Antwort, als Thom ihn auf eine markante Veränderung in seinem Manuskript angesprochen hatte. Kurz darauf fügte er hinzu:

„Aber lass dir gesagt sein, dass Beschwichtigung noch nie zu irgendetwas geführt hat. Außer, dass man den Beschwichtigenden irgendwann nicht mehr ernst nimmt. Du willst eine Veränderung? Antworten auf deine Fragen? Dann musst du manchmal den harten Weg gehen. Die Weltgeschichte ist voll von Beispielen dafür. In anderen Worten, es ist deine Entscheidung, ob du lieber Chamberlain oder Churchill sein willst.“

Lese ich heute die bereits entstanden Seiten des dritten Teil von “Der Mann mit dem Hund”, der noch immer keinen Titel hat, stelle ich fest, dass aus “aiming to miss” “aiming to hit” geworden ist. Sie sind weit entfernt von der diplomatischen Unschärfe, die an wichtigen Punkten noch den ersten Teil “Drei Wölfe” prägte.  Wenn man so will folgt “Drei Wölfe” mit seinem “aiming to miss” dem “Primat der Politik” (Carl von Clausewitz). Eine langsame, schrittweise Abkehr von diesem Primat wird ab der Mitte des zweiten Teils “Die andere Seite des Spiegels” angedeutet.. Im dritten Teil wird diese Abkehr vollzogen. Politik wird mit anderen Mitteln fortgesetzt. Offensichtlich wird das in einem der letzten Kapitel des dritten Teil, das die vielsagende Ãœberschrift “Die Entente Coridiale” trägt.

Was hat sich verändert?

“Was im Großen gilt, gilt im Kleinen” stand in einem der Briefe, die Chris an Irina geschrieben hatte. Demnach muss Diplomatie und auf seine durchaus drastischere Weise auch ein “aiming to miss” die erste Wahl sein und solange nicht alle Wege ausgeschöpft sind auch bleiben. Was aber soll gesehen, wenn diese Mittel erschöpft sind und keine Veränderung sichtbar wird? Wo liegt die Grenze, an der Diplomatie sinnlos wird? Bei der Verletzung von Moral und allgemein anerkannten Werten? Wer aber definierte diese und gibt es überhaupt so etwas wie allgemein gültige Werte? Aus der Perspektive der “Jäger” in “Lord of the Flies” sind ihre Werte die allgemeingültigen auf der Insel, die nur von der kleinen Gruppe um Ralph ablehnt werden. Ein Ende bereit dem außer Kontrolle geraten Treiben der “Jäger” erst das Auftauchen einer Ordnungsmacht in Form eines Erwachsen.

Eine der Hauptthematiken in “Der Mann mit dem Hund” ist die Auseinandersetzung mit Werten und Moral. Ich bin der Ansicht, dass fast alle Menschen eine Summe an Werten eint, die nicht negierbar sind. Werte, die das Fundament unsere menschlichen Gesellschaft sind. Manchmal jedoch bedürfen diese Werte der Verteidigung und “Politik” muss mit anderen Mitteln fortgesetzt werden. Dabei darf nicht übersehen werden, die richtigen Ziele zu treffen. Nicht die Symptome sollten bekämpft werden, sondern die Ursachen, allerdings unter Wahrung einer allgemein vertretbaren Zweck/Mittel-Relation.  Ein Buch wahrt nach meiner Ãœberzeug diese Zweck/Mittel-Relation. Es ist geeignet diese Werte zu verteidigen, zur Not mit einem deutlichen “aiming to hit”. Oder um es mit Edmund Burke auszudrücken: “Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun!”

 

 

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